AUDITORIX: AKTUELLES

WDR 3-Chef trifft auf 1LIVE-DJ

Gespräch zum internationalen „Tag gegen Lärm“

Der eine mag es laut, der andere lieber leise. Anlässlich des „Tags gegen Lärm“ am 27. April haben der Programmchef des Kulturradios WDR 3 Prof. Karl Karst und 1LIVE-DJ Jan-Christian Zeller über unangenehme Geräusche, Gehörschutz im Club und „mittellaute“ Rockmusik gesprochen. Ausgangsfrage ihres Gesprächs: Gibt es eigentlich auch schönen Lärm?

Karl Karst: Der Begriff Lärm ist an sich negativ besetzt. Es gibt keinen positiven Lärm. Sobald ich Geräusche, Klänge, Sounds positiv finde, ist es kein Lärm. Klänge sind für uns ein „Nahrungsmittel“. Davon leben wir. Vom Embryo an wollen wir etwas in die Ohren bekommen! Als Lärm empfinden wir das, was wir nicht definieren können, was keine Bedeutung hat und was stört, weil es irritiert – nicht nur aufgrund von Lautstärke. Auch relativ leise Geräusche, die dauerhaft brummen, zischen oder piepen, können Lärm sein, der entschieden nervt.

Jan-Christian Zeller: Für mich ist das genauso. Für mich ist das Wort Lärm auch negativ belastet. Lärm ist das eine, aber gehen wir doch mal einen Schritt weiter. Es gibt ja auch sowas wie wirklich krasse Grenzerfahrungen was Geräusche, Töne usw. betrifft. Ich stand zum Beispiel mal in einem Club auf einer Tanzfläche und ich kann es gar nicht so genau beschreiben, ob es jetzt ein Klirren oder was auch immer war. Es war auf jeden Fall so ein krass unangenehmer Ton zu hören, dass ich echt den Dancefloor verlassen musste, weil ich es nicht mehr hören konnte.

KK: So eine intuitive Reaktion ist genau richtig. Entweder man verlässt den Raum oder man schützt sich in anderer Form. Kinder stecken oft intuitiv die Finger in die Ohren, wenn sie einen Knall oder Lautes hören. Wenn wir im wahrsten Sinne des Wortes mehr darauf hören, wann wir uns noch gut fühlen und wann nicht, dann gäbe es einerseits weniger Gehörschäden und andererseits hätten wir mehr Spaß an den Klängen und der Musik. Gehörschäden sind übrigens irreparabel. Man hat sie ein ganzes Leben lang. Das ist wie Löcher in der Wahrnehmung. Es fehlen bestimmte Frequenzen. Das ist insbesondere beim Verstehen von Sprache tragisch, weil wir darauf im Alltag und im Beruf dringend angewiesen sind.

JCZ: Aber mal konkret – was ist für Sie ein unerträgliches Geräusch, wie für mich das auf dem Dancefloor?

KK: Ein ganz konkretes Geräusch, was für mich und sicherlich auch viele andere unerträglich ist, ist das Geräusch, wenn Kreide an der Tafel falsch gezogen wird.

JCZ: … oder der Fingernagel.

KK: Ja, genau, oder der Fingernagel. Allein die Vorstellung!! Da läuft es einem kalt den Rücken herunter.

JCZ: Das sind die Geräusche, die richtig schmerzen. Wenn ich an ein unerträgliches Geräusch denke, dann ist das der Presslufthammer vor der Tür – da fehlt mir einfach die Melodie. Oder eben auch ein nicht aufhörender Piepton ist genau so wenig auszuhalten. Aber gut, auch wenn ich das jetzt als Lärm für mich bezeichnen würde, gehöre ich auch nicht zu den Leuten, die sich direkt über so etwas beschweren.

KK: Es gibt einfach viele Geräusche, die zu unserem Alltag gehören und die uns zum Teil nicht mehr auffallen und trotzdem unterschwellig nerven, wie z.B. das ständige Surren des Kühlschranks. Andererseits haben wir auch viele, durchaus laute Geräusche, die dafür da sind, uns zu warnen. Hier ist der Lärm in gewisser Weise positiv besetzt. Er hat eine Botschaft. Zum Beispiel die Hupe oder Sirene. Sie warnen uns. Das Ohr ist unser Haupt-Warninstrument. Das einzige übrigens, das Tag und Nacht aktiv ist – im Gegensatz zu den Augen. Und es ist das einzige Warninstrument, das 360 Grad, also rundherum die Umgebung abhört. Als Fahrradfahrer im Straßenverkehr z.B. ist das Ohr unser „Rückspiegel“ nach hinten.

JCZ: Also ich höre ja meinen Kühlschrank gar nicht, denn bei mir läuft ja dauerhaft irgendetwas in der Wohnung.

KK: Auch nachts?

JCZ: Sogar nachts. Ich habe eigentlich immer Musik an, habe immer einen Geräuschpegel in meiner Wohnung, der verhindert, dass ich so etwas wie das Surren des Kühlschranks oder die Band draußen in der Fußgängerzone wahrnehme. Ich empfinde die Geräuschkulisse so in meiner Wohnung als beruhigend und kann dann auch besser einschlafen. Vielleicht macht das ja mein Unterbewusstsein, so nach dem Motto: „Bevor ich den Kühlschrank wahrnehme, will ich hier lieber etwas anderes hören“. Ich kann einfach grundsätzlich besser entspannen mit einem gewissen musikalischen Geräuschpegel.

KK: Total! Das ist das gleiche Prinzip wie in der Straßenbahn, wenn man mit Kopfhörern Musik hört, um die Umwelt nicht zu hören. Das ist plausibel! Das alles sind im Grunde Verfahren, sich eine gleich klingende, für sich persönlich angenehme Atmosphäre zu schaffen, die unsere Eigene ist. Das ist auch der entscheidende Unterschied zum Lärm: Lärm ist nicht das Eigene, sondern immer etwas, was „von außen“ kommt und nicht von mir gewollt ist. Musik wiederum legen wir uns selbst auf und deswegen ist sie für uns auch kein Lärm, so laut sie auch abgespielt wird. Wenn Sie auflegen, geht Ihnen das ja bestimmt auch so, oder?

JCZ: Ja, absolut! Ich habe auch noch nie so etwas wie einen Gehörschutz im Club benutzt. Und Sie?

KK: Also ich bin absolut ein Ohrenmensch und achte auf Lautstärke. Deswegen schütze ich meine Ohren sehr. Es gibt gerade für Clubs und Konzerte einen ganz bestimmten Ohrschutz, der nur die Lautstärke filtert, nicht aber die Frequenzen und so den Musikgenuss weiterhin zulässt.

JCZ: Ja, das kenne ich von Kollegen, die nutzen manchmal auch solche Stöpsel. Für mich selber kommt das nicht in Frage, das kommt mir etwas komisch vor, wenn ich mir überlege, dass ich derjenige bin, der hier für etliche Personen den Sound bestimmt. Und ausgerechnet ich, als Ausgangspunkt des Ganzen, nehme dann etwas Gefiltertes wahr, was andere ungefiltert hören. Das wäre doch irgendwie total seltsam. Ich war aber auch noch nie an dem Punkt, dass ich mir ernsthaft Gedanken um meine Ohren machen müsste. Und außerdem hab ich ja als DJ selbst die Kontrolle – ich bediene ja den Lautstärkenregler meiner Kopfhörer. Grundsätzlich fühle ich mich auch mehr dabei, wenn ich etwas entsprechend laut höre. Wie das aber wirklich beim Publikum ankommt, bekommt man letztlich nur mit, wenn man mitten auf dem Dancefloor steht.

KK: Ich kann das zwar gut nachvollziehen, aber ich würde trotzdem, um irreparable Schäden zu verhindern, dringend einen professionellen Gehörschutz empfehlen.

JCZ: (lacht) Ja, meine Mama auch … Aber im Ernst: Ich habe immer ein besseres Gefühl, wenn ich nach meinem eigenen Gehör vorgehen kann und da noch etwas mitsteuern kann, als wenn ich mich nur darauf verlassen muss, was andere für mich pegeln bzw. was ein Gerät da an Dezibel angibt.

KK: Die Messgeräte geben immer nur Durchschnittswerte an, insofern ist es richtig zu sagen: Ich muss mein persönliches Empfinden ergänzend zu solchen Messgeräten ansetzen, um festzustellen, ob es tatsächlich zu laut oder für die jeweilige Atmosphäre noch OK ist. Aber auch, wenn ich es individuell als nicht zu laut empfinde. Das Innen-Ohr ist ein zu Teilen mechanisches Instrument und reagiert sehr simpel und brutal auf zu hohe Lautstärken: Es sieht dann so aus wie ein Kornfeld im Sturm. Die Hör-Härchen liegen platt – und wenn sie liegen bleiben, sterben die darunter befindlichen Hörzellen ab...

JCZ: Wobei ich hier auch einfach sagen muss: Ich bin absolut ein „Lautness“-Freak. Ich höre Dinge einfach gerne laut. Mir würde nichts einfallen, was ich leise hören MÜSSTE. Klar, ich höre mal etwas leise, aber was ich jetzt leise hören MÜSSTE, damit es bei mir richtig ankommt, da fällt mir nichts ein.

KK: Also klar, man muss auch klassische Musik in der entsprechenden Lautstärke hören. Letztlich muss man immer alles in der angemessenen Lautstärke hören und das hängt natürlich auch von meinem Zustand ab. Wenn ich Musik als atmosphärischen Background hören möchte, dann ist sie vermutlich leiser. Wenn ich sie gezielt hören will, vermutlich lauter.

JCZ: Aber was hören Sie denn richtig laut?

KK: Rock-Musik muss laut gehört werden. Aber wissen Sie, was ich glaube? Mein „laut“ ist nicht Ihr laut. Ich kann dabei zum Beispiel noch telefonieren…

Prof. Karl Karst (*1956 in Köln) ist Leiter des Kulturradios WDR 3. Neben seiner Radiotätigkeit gründete er 1996 den Projektkreis Schule des Hörens e.V. und 2001 die Initiative (Stiftung) Hören, die zahlreiche gemeinnützige Projekte für Kinder zum Thema Hören verwirklichten. Zusammen mit der INITIATIVE HÖREN und der Landesanstalt für Medien NRW entwickelte er 2006 das Projekt AUDITORIX, bestehend aus der AUDITORIX Hörwerkstatt und dem AUDITORIX-Hörbuchsiegel zur Auszeichnung pädagogisch wertvoller Hörbücher für Kinder. Außerdem gründete er im Jahr 2000 das WDR 3 Kulturpartner-Netzwerk NRW, eines der größten Kulturnetzwerke in Deutschland.

Aktueller Hinweis: Anlässlich des „Tags gegen Lärm 2016“ wird Prof. Karl Karst bei der Veranstaltung „Lärmprävention 2.0 – Wie ich mich vor Lärm schützen kann“ am Mittwoch, 27.04.2016, 10.00 bis 14.00 Uhr, in der Handwerkskammer Köln an einer Podiumsdiskussion teilnehmen. Die Veranstaltung der biha (Bundesinnung der Hörgeräteakustiker), der DTL (Deutsche Tinnitus-Liga) und der Initiative Hören ist öffentlich.

Jan-Christian Zeller (*1981 in Warendorf) ist Moderator und DJ bei 1LIVE, dem jungen Radioprogramm des WDR. Er ist eine der auffälligsten Stimmen und einer der bekanntesten Köpfe des "1LIVE Sektors". Hier hat "JC" die Wochenenden mit seinen exklusiven DJ-Sets fest im Griff. In seiner Sendung 1LIVE Moving begleitet er die Hörer auf dem Weg in die Samstagnacht und empfängt Weltstars und Top-DJs wie David Guetta, Diplo, Martin Solveig und Felix Jaehn. Bei den größten öffentlichen Partys und Eventreihen von 1LIVE (1LIVE Charts-Party, 1LIVE Liebesalarm-Party, 1LIVE Eine Nacht in...) mit bis zu 5.000 Besuchern legt er selbst als DJ auf.