AUDITORIX: AKTUELLES

SPRECHEN IST MEHR ALS REDEN

Interview mit dem WDR-Chefsprecher

Bild: AUDITORIX

Reden kann jeder, aber Sprechen will gelernt sein. Dabei geht es beim Sprechen um mehr, als nur darum, Wörter und Sätze zu bilden. Welche Herausforderungen „gutes Sprechen“ mit sich bringt, erklärt WDR-Chefsprecher Dieter Schiffer im AUDITORIX-Interview. Er ist beim Westdeutschen Rundfunk für das gesamte Sprecherensemble verantwortlich und kennt sich, als ausgebildeter Sprecher und Sänger, bestens mit der Stimme aus. Nicht nur lautes oder leises, schnelles oder langsames Sprechen kann man trainieren. Auch die Sprechausdauer, z.B. um ein ganzes Buch vorzulesen, ist nicht so leicht. Die Stimme wird dabei sehr gefordert. Wie hält man sie fit? Und wie schafft man es, verschiedene Rollen allein durch die Stimme zu „verkörpern“?

Ist „Sprechen können“ Talent oder Übungssache?
Beides. Als Sprecher sollte man auf jeden Fall ein hohes Maß an Sprachgefühl und Musikalität mitbringen, außerdem große Freude an Kommunikation, sprachlicher Gestaltung und darstellerischem Spiel. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben zum Beispiel schon sehr früh gespürt, dass sie andere Menschen gut imitieren können, dass Ihnen Fremdsprachen und vor allem deren Aussprache sehr leicht fallen oder dass sie gerne vorlesen, etwa in der Kirche oder beim Vorlesewettbewerb in der Schule. Um dieses Talent in gute Bahnen zu lenken, braucht es dann aber auch einiges an Handwerkszeug, das gelernt werden will. Hierzu zählen schauspielerische Fertigkeiten, aber auch ganz handfeste Dinge wie etwa sprecherische Geläufigkeit oder das Beherrschen der deutschen Hochlautung. Nicht zu unterschätzen ist noch eine besondere Art des Geübtseins: die sprecherische Erfahrung bzw. die – positiv verstandene – sprecherische Routine. Denn mit einem guten Sprecher verhält es sich ein bisschen so wie mit einem guten Rotwein…

Was hören Sie aus einer Stimme heraus, zum Beispiel wenn sich jemand bei Ihnen mit einer Hörprobe bewirbt?
Zunächst höre ich natürlich vor allem alles das, was nicht so gut läuft. Berufskrankheit. Das können zum Beispiel nicht beherrschte sprecherische Grundlagen sein, aber auch Manierismen oder Stanzen, wenn zum Beispiel ein Sprecher gewissermaßen mit Autopilot spricht, er mir also mit viel sprecherischem Tamtam nur vorgaukelt, beim Inhalt oder beim Zuhörer zu sein. Spannend sind in diesem Fall die unbedachten Momente. Dann wird nämlich oft der Blick auf die eigentliche Persönlichkeit der Stimme frei. Und sollte ich den Eindruck haben, dass hier ausreichend Potential schlummert, dann muss ich den Menschen zur Stimme kennenlernen und mit ihm im Studio ausloten, wie schnell er sprecherisch auf Impulse von außen reagieren kann und wie beweglich er im Hinblick auf Veränderungen ist. Natürlich gibt es auch noch den seltenen Fall, dass bei einer Hörprobe alles stimmt. Nicht im Sinne von Brillanz und Perfektion – das ist auch wichtig, aber auf Dauer eher langweilig -, sondern im Sinne von Authentizität. Dann liegt die Persönlichkeit der Sprecherin oder des Sprechers wie ein offenes Buch vor mir, und ich bin mir meist sehr sicher zu hören, was diesen Menschen ausmacht.

Was müssen professionelle Sprecher/innen in ihrer Stimme mitbringen?
Für journalistische Inhalte wie z.B. Nachrichten: Glaubwürdigkeit, Kompetenz und die Fähigkeit, sich sprecherisch in den Dienst der Sache zu stellen - hier interessiert der Inhalt und nicht der Sprecher. Außerdem sollte ein Sprecher im tagesaktuellen Geschäft gute Nerven haben und auch bei Stress den Überblick behalten. Stimmlich drückt sich das in einer souveränen, „gespannten“ Ruhe aus. Auf Tätigkeitsfeldern wie z.B. Hörspiel, Lesungen, Voice-over oder auch bei Promos, also rundfunkinterner Werbung, sind andere Fähigkeiten wichtig: eine hohe gestalterische Flexibilität, ein feines Gespür für emotionale Nuancen, Glaubwürdigkeit in der Rolle, Persönlichkeit oder auch Spielwitz. Alle diese Fähigkeiten ermöglichen es dem Sprecher, bei den unterschiedlichsten Aufgaben immer eine klare innere Haltung zu haben: sich selbst gegenüber, der Aufgabe gegenüber und den Hörerinnen und Hörern gegenüber.

Welche Eigenschaften und Fähigkeiten sollten (angehende) Sprecher/innen sonst noch mitbringen?
Alle unsere Kolleginnen und Kollegen haben ein Hochschulstudium absolviert. Darüber hinaus sind gute Fremdsprachenkenntnisse, eine gute Allgemeinbildung - vor allem im Bereich der Kultur - und journalistischer Sachverstand sehr wichtig. Ein Rundfunksprecher muss verstehen, was er spricht und er muss ein Gespür zum Beispiel für die Sprechsprachlichkeit und Struktur von Texten haben, damit Inhalte lebendig und hörverständlich über den Äther kommen. An der Schnittstelle zwischen Redaktion und Publikum arbeiten wir im Team mit Autoren, Redakteuren, Regisseuren. Zu unseren Aufgaben gehört es deshalb auch, Texte auf Plausibilität und Verständlichkeit zu prüfen und entsprechend zu redigieren. Denn ein Rundfunksprecher ist vor allem eins: Anwalt der Hörerinnen und Hörer. Nimmt er diese Rolle ernst, dann sind im Übrigen auch vermeintlich altmodische Tugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Disziplin von großer Bedeutung. Das gehört zur Professionalität. Wie im Theater. Persönliche Befindlichkeiten jedenfalls tun in unserem Beruf nichts zur Sache.

Was macht für Sie eine schöne Stimme aus?
Vorweg: Ich finde, es gibt unendlich viele schöne Stimmen. Für mich sind sie immer dann besonders schön, wenn sie gut im Körper sitzen, wie wir sagen. Das hat nämlich in den meisten Fällen mit der dazu gehörenden Persönlichkeit zu tun. Die Stimme ist ein Spiegel der Seele. Und bei einer schönen Stimme, wie ich sie verstehe, schaut man eigentlich auch immer auf eine schöne Seele: durchlässig, manchmal kraftvoll - aber eben nicht dominant -, manchmal verletzlich, auf fließendem Atem und in gutem Kontakt mit ihren Emotionen. Klar, es gibt auch die berühmten Knaller-Stimmen, die alle ganz toll finden. Mitunter einfach umwerfend, auch aus professioneller Sicht. Aber oft hält so eine Stimme auf Dauer nicht, was sie verspricht: zu dominant, zu selbstverliebt oder einfach nicht variabel genug. Und wenn man Pech hat, stellt man irgendwann außerdem noch fest, dass man dieser Stimme nur der eigenen Projektionen wegen auf den Leim gegangen ist.

Pflegen Sie Ihre Stimme? Wenn ja, wie?
Sagen wir so: Ich habe meine Stimme immer im Blick. Denn sie sagt mir jederzeit sehr genau, was mit mir momentan los ist. Und bei der Arbeit am Mikrofon sagt sie mir auch gnadenlos, wo es möglicherweise gerade hapert. Das zieht dann ganz unterschiedliche „Therapien“ nach sich: Sport, Stimmübungen, Entspannungsübungen. Oder einfach mal Klappe halten (lacht). Außerdem nehme ich regelmäßig Unterricht. Um Texte oder Rollen zu erarbeiten, um akute Probleme zu erkennen und zu lösen, auch um mir unbewusst lieb gewordene Marotten auszutreiben. Und vor allem um weiter zu kommen. Schließlich gilt auch fürs professionelle Sprechen: Der Weg ist das Ziel.

Link-Tipp von AUDITORIX

Neben Sprech- und Schauspieltraining stehen auch Stimm- und Atemübungen auf dem Übungsprogramm eines guten Sprechers. AUDITORIX bietet Übungen für Kinder.


Dieter Schiffer wurde 1967 in Köln geboren. Nach seiner Lehre als Buchhändler studierte er Politische Wissenschaften, Geschichte und Philosophie. Neben einer mehrjährigen klassischen Gesangsausbildung folgte eine sprecherische Ausbildung mit Schwerpunkt in den Bereichen Rezitation, Darstellung und künstlerische Gestaltung. Seit 2001 ist er Chefsprecher und damit Leiter des Sprecherensembles des WDR. (Bild: WDR/Annika Fußwinkel)